Literatur/ Medien

Joseph Roth



Was verbindet mich mit diesem be­gnadeten Schriftsteller?
Die gefühlte Le­bens­spanne eines Menschen reicht viel weiter in die Vergangenheit, als es sein Ge­burts­datum erahnen ließe. Alles, was man über die eigene Familiengeschichte erlebt, gehört und gesehen hat, ge­hört dazu. Die Umbruchszeit des Ersten Weltkriegs, so wie es Roth in vielen seiner Romane schilderte, spie­gelt sich in den Er­fah­run­gen wider, die mein eigener Großvater, Major in der k. und k. -Armee, in seinen Kriegs­be­rich­ten beschrieb. Durch seine Berichte hat die Ge­schichte das alten Österreichs einen Fuß in die Türspalte meines Lebens gesetzt.
„Als ich dreißig Jahre alt war, durfte ich endlich die weißen Städte sehen, die ich als Knabe geträumt hat­te. Mei­ne Kind­heit ver­lief grau in grau­en Städ­ten. Mei­ne Ju­gend war ein grau­er und ro­ter Mi­li­tär­dienst, ei­ne Ka­ser­ne, ein Schüt­zengraben, ein La­za­rett. Ich mach­te Rei­sen in frem­de Län­der - aber es wa­ren feind­li­che Län­der. Nie hät­te ich frü­her ge­dacht, daß ich so ra­pid, so un­barm­her­zig, so ge­walt­sam ei­nen Teil der Welt durchreisen würde, mit dem Ziel zu schießen, nicht mit dem Wunsch zu sehen. Ehe ich zu leben ange­fan­gen hatte, stand mir die ganze Welt offen. Aber als ich zu leben anfing, war die offene Welt verwüstet. Ich selbst ver­nich­te­te sie mit Altersgenossen. Die Kinder der anderen, der früheren und der späteren Ge­ne­ra­tio­nen, dürften einen stän­di­gen Zu­sam­men­hang zwischen Kindheit, Mannestum und Greisenalter finden. Auch sie erleben Überraschungen.
Aber keine, die nicht irgendeine Be­zieh­ung zu ihren Erwartungen zu bringen wäre. Keine, die man ihnen nicht hätte pro­phe­zeien können. Nur wir, nur unsere Generation, erlebte das Erd­beben, nach­dem sie mit der vollständigen Sicherheit der Erde seit der Geburt ge­rech­net hatte. Uns allen war es, wie ei­nem, der sich in den Zug setzt, den Fahrplan in der Hand, um in die Welt zu reisen. Aber ein Sturm blies unser Gefährt in die Wei­te, und wir waren in einem Augenblick dort, wohin wir in ge­mäch­lichen und bunten, erschütternden und zauberhaften zehn Jahren hatten kommen wollen. Ehe wir noch erleben konnten, erfuhren wir's.
Wir waren fürs Leben gerüstet, und schon be­grüßte uns der Tod. Noch standen wir ver­wun­dert vor einem Leichenzug, und schon lagen wir in einem Massengrab. Wie wußten mehr als die Greise, wir waren die un­glück­li­chen Enkeln, die ihre Großväter auf den Schoß nahmen, um ihnen Geschichten zu erzählen.„    (aus „Hotel Savoy“)  
Joseph Roth wurde am 2. September 1894 in Brody, Galizien (heute Ukra­ine), als Sohn jü­di­scher Eltern geboren.
Brody war eine mittelgroße Stadt nahe der Grenze zwischen Österreich-Un­garn und Russ­land. Galizien, zuvor polnisches Gebiet, bil­de­te von 1772 bis 1918 als Kö­nig­reich Ga­li­zien und Lo­do­me­rien ein Kron­land der Habs­bur­ger­mo­narchie. Sowohl in Galizien als auch im russischen Wohlhynien war ne­ben der polnischen, russischen, ruthenischen und deutschen Be­völ­ke­rung der Anteil der Juden sehr groß. Brody war zum Ende des 19. Jahrhun­derts eine der wenigen Städte Galiziens, deren Bevölkerung mehrheitlich aus Juden be­stand.
1894 kehrte Josephs Vater noch vor der Geburt seines Sohnes nicht von einer Geschäftsreise zurück, so wuchs der kleine Roth bei seiner Mu­tter und sei­nem Großvater auf.
1901-1913: Roth besuchte die jüdische Ge­mein­de­schule in Brody und danach das Kronprinz-Rudolph-Gymnasium, wo er seine Matura (sein Abitur) mit Aus­zeichnung bestand. In diesen Jahren verfasste Roth seine ersten Gedichte. Nach der Matura immatrikulierte er sich an der Universität Lemberg für die Fächer Ger­manistik und Philosophie. 1914 wechselte er zur Universität Wien.
Radetzkymarsch - Trailer
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Roth zunächst als wehr­dienst­un­tauglich vom Mi­li­tär­dienst befreit. 1916 meldete er sich aber freiwillig zum Mi­litärdienst und diente in Galizien bei einer Infanterietruppendivision sowie in Wien bei einer militärischen Pressestelle. Von 1917 an bis zu Kriegsende war er dem Pressedienst im Raum Lemberg zugeteilt. Das Ende des Krieges er­lebte er in russischer Gefangenschaft.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Roth zunächst als wehr­dienst­un­tauglich vom Mi­li­tär­dienst befreit. 1916 meldete er sich aber freiwillig zum Mi­litärdienst und diente in Galizien bei einer Infanterietruppendivision sowie in Wien bei einer militärischen Pressestelle. Von 1917 an bis zu Kriegsende war er dem Pressedienst im Raum Lemberg zugeteilt. Das Ende des Krieges er­lebte er in russischer Gefangenschaft.
1918 - 1919: Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft kehrte Roth nach Wien zurück, wo er sein erstes Feuillton in der linksliberalen Zeitung "Der neue Tag" veröffentlichte. Für diese schrieb er innerhalb eines Jahres mehr als 100 Artikel in einem von Witz und sprachliche Klarheit gekenn­zeich­ne­tem Stil.
Ende April 1920 stellte der „Neue Tag„ sein Er­scheinen ein. Roth zog nach Ber­lin um, in eine Stadt, die während der Weimarer Republik eine kulturelle Blühte erlebte. 1922 heiratete er Frie­derike (Friedl) Reichler, eine attraktive, in­tel­ligente Frau, die aber weder eine In­tel­lek­tu­el­le war noch dem ruhelosen, mondänen Leben an der Seite eines reisenden Starjournalisten etwas ab­ge­win­nen konnte.
Im gleichen Jahr begann Roth Bei­träge für das sozialistische Blatt Vorwärts zu schreiben, obwohl er sicherlich kein Sozialist war, dessen Über­zeu­gungen auf theoretischen Fundamenten ruhten. Ab Jänner 1923 arbeitete er als Feuille­ton­korrespondent für die re­nom­mierte Frankfurter Zeitung, in der in den fol­gen­den Jahren ein gro­ßer Teil seiner journalistischen Arbeiten er­schei­nen sollte. Aufgrund der durch die In­flation in Deutschland und Österreich ab­wech­selnd relativ schlechteren wirt­schaftlichen Lage pendelte Roth in dieser Zeit mehr­fach zwischen Wien und Berlin. In diesem Jahr begann er auch seine Mitarbeit mit dem "Prager Tage­blatt".
1924 erschien Joseph Roths erster Roman, „Ho­tel Savoy“, der den gesell­schaft­lichen Um­bruch der Nachkriegszeit zum Thema hat. In den folgenden Jahren wurde er Aus­lands­kor­res­pon­dent der "Frankfurter Zeitung„ in Paris und, als er die Stelle aufgeben musste reiste er für sie selbe Zeitung in die Sowietunion, nach Italien, Albanien und Polen.

1926 hatten sich bei Roths Frau erste Symptome einer geistigen Erkrankung gezeigt, 1928 wurde die Krankheit manifest und Friedl wurde vo­rü­ber­gehend in eine Nervenheilanstalt behandelt. Als auch die Unterbringung bei ihren Eltern keine Besserung brachte, kam sie 1930 - 1933 in verschieden Anstalten. Roth beantragte die Scheidung. 1940 wurde Friedl in eine Heil­an­stalt nach Linz ge­schickt, über eine Ankunft dort gibt es keinen Beleg – sie wurde ein Opfer des nationalsozialistischen Eu­tha­na­sie­pro­gramms. Sie starb am 15. Juli 1940.

Die Krankheit seiner Frau stürzte Roth in eine tiefe Krise. In dieser Zeit be­gann er kräftig zu trinken und seine finanzielle Situation ver­schlech­terte sich.

Das Spinnennetz
Das Spinnennetz ist ein abgebrochener Fort­setzungsroman von Joseph Roth, der 1923 in der Wiener Arbeiter-Zeitung vorabgedruckt wurde. Der Druck folgte posthum 1967 in Köln und Berlin. Das Werk wurde 1989 verfilmt.

1929 - 1930 arbeitete Roth für die konservative Zeitung „Münchener Neueste Nachrichten“ und veröffentlichte sein Roman „Rechts und Links“. Roth wendete sich mehr und mehr dem Ge­dan­ken­gut der konservativen habsburgischen Le­gi­timisten zu. Er idealisierte die Monarchie in sei­nen Romanen als eine aus der Zeit gehobene Phase der Sicherheit und Ordnung.

1930 erschien sein erfolgreichstes Buch „Hiob“, das vom Juden Mendel Sin­ger handelt, der auf der Suche nach Gott ist.
Hiob
Hiob
„Und sie gelangten in eine Welt, wo der weiche Sand gelb war, das weite Meer blau und alle Häuser weiß. Auf der Terrasse vor einem dieser Häuser, an einem kleinen, weißen Tischchen, saß Mendel Singer. Er schlürfte einen goldbraunen Tee. Auf seinen gebeugten Rücken schien die erste warme Sonne dieses Jahres. Die Amseln hüpften dicht an ihn heran. Ihre Schwestern flöteten indessen vor der Terrasse. Die Wellen des Meeres plätscherten mit sanftem, re­gel­mäßigem Schlag an den Strand. Am blaßblauen Himmel standen ein paar weiße Wölkchen.“  (aus „Hiob“)  

1932 erschien Roths Meisterwerk „Ra­detz­ky­marsch“, in der er anhand einer Fa­mi­lien­ge­schichte den Un­ter­gang des habsbur­gi­schen Reichs schildert.
Joseph Roth
Radetzkymarsch
In der Schlacht von Solferino rettet Leutnant Joseph Trotta unter Einsatz sei­nes Lebens dem jungen Kaiser Franz Joseph I. das Leben. Dafür wird er in den Adelsstand erhoben. Seinem Sohn, Franz Freiherrn von Trotta, verbietet er eine Karriere beim Militär. Dieser schlägt also eine zivile Beamtenlaufbahn ein. Bei Carl Joseph Trotta, seinem Sohn ist von der Stärke des „Helden von Solferino“ nichts übrig geblieben. Er will eigentlich kein Soldat sein und folgt nur dem Auftrag seiner Familie. Das Schicksal verschlägt ihn im Ersten Welt­krieg zur Infanterie an die russische Grenze, wo er der Spiel­sucht und dem Alkohol verfällt. Wie am Anfang des Aufstiegs der Familie der Einsatz eines Menschenlebens für den Kaiser ge­stan­den hat, geschieht am Ende ein Opfer­gang für die Kameraden: Carl Joseph fällt bei dem Versuch, Wasser für seine Soldaten zu holen.

1933, nach der Machtübernahme Hitlers, emi­grier­te Roth nach Paris, von wo aus er sich publizistisch für die Restauration des un­ter­ge­gan­ge­nen habs­bur­gi­schen Viel­völ­ker­staats einsetzt, in dem er die einzige Möglichkeit sieht, die Unabhängigkeit Österreichs zu bewahren. 1935 wendete er sich dem Katho­li­zismus zu, der zeitlebens eine große An­zieh­ungs­kraft auf ihn ausgeübt hatte.
1938 reiste er - kurz vor dem Anschluss Ös­ter­reichs - zum letzten Mal nach Wien im Auf­trag der österreichischen Legitimisten. Im selben Jahr veröf­fent­lich­te er den Roman „Kapuzinergruft“, eine Fortsetzung des Romans „Radetz­ky­marsch“".
1939 erschien seine Erzählung „Die Le­gen­de vom heiligen Trin­ker“ und die Artikelserie „Schwarz-Gelbes Tagebuch“. Am 23. Mai brach er zusammen, als er die Nach­richt vom Selbst­mord seines Freun­des Ernst Toller er­hielt. Drei Tage später starb Joseph Roth, von lebenslangem starkem Alko­hol­kon­sum gezeichnet und von den zahlreichen Schick­sals­schlä­ge gebrochen im Hôpital Necker, einem Pariser Armenhospital.
1939 erschien postum Joseph Roths Roman „Die Geschichte von der 1002. Nacht“. Während eines Besuchs in Wien verliebt sich der Schah von Persien in die Gräfin W. aus Mähren. Es verlangt ihn nach einer gemeinsamen Nacht. Er verbringt sie mit der als Gräfin verkleideten Mizzi Schinagl.
Der Titel des Romans suggeriert Orientalisches. Die Leser erwarten so etwas wie Tausendundeine Nacht. Der Schah tritt aber im Roman nur kurz in Er­schei­nung und liefert die Basis für die Le­bens­ge­schich­te von Mizzi sowie für jene des Rittmeisters Alois Franz Baron von Taittinger, der während des Staatsbesuchs des Schahs diesem die vermeiontliche Gräfin für eine Lie­bes­nacht zuführte.
„Sie gehörte zu jenen Mädchen, die in den längstvergangenen Tagen ohne jedes andere Verdienst als das der Anmut Verehrung genossen und Anbetung er­war­ben.“
„Er tanzte nicht gern. Er spielte nicht gern. Er trank nicht einmal gern. Eifersucht war seine einzige Leidenschaft.“
„Durch ihre einfache Seele huschte für ein paar Minuten ein hur­ti­ger Abglanz jenes Lichts, das die Klügeren und Einsichtigen so selig und so traurig macht: das Licht der Erkenntnis.“
„Der Baron Taittinger gehörte zu den nicht seltenen Menschen, die, in der Disziplin des Militärs herangewachsen, vom Schicksal ge­nau­so Befehle und Anweisungen erwarteten wie von vorgesetzten Stel­len.“
„Es war nicht einfach das Wiener Dialekt. Es war, wie wenn ein Bär den Versuch gemacht hätte, italienisch zu sprechen.“

Klassiker der Weltliteratur - Joseph Roth

Ende 1926 hatte Joseph Roth für die Frankfurter Zeitung vier Monate lang Russland bereist. Diese Russland-Reportagen wurden 2015 unter dem Namen „Reisen in die Ukraine und nach Russland“ im C.H. Beck Verlag wieder aufgelegt. Diese Reportagen (Lemberg, Kiew, Odessa, Moskau) liest man gerade heute wieder mit großem Interesse.
„Es gibt Städte, in denen es nach Sauerkraut riecht. Dagegen hilft kein Barock.“
„Die großen, alten Kirchen treten aus der Reserve ihres heiligen Zwecks und mi­schen sich unter das Volk.“
„Die Städte an der Wolga sind die traurigsten, die ich je gesehen habe. Sie erin­nern an die zerstörten Städte des französischen Kriegs­gebiets. Diese Häuser brann­ten im roten Bürgerkrieg; und dann sahen ihre Trümmer den weißen Hunger durch die Straßen galoppieren.“
„Ohne diese Konditorei hätte ich nicht arbeiten können, das wich­tig­ste Schreib­material ist Kaffee.“
 
 
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Galizien: Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina
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