Steiermark, Gesäuse, <i>Enns</i>, Rafting, Canyoning
Rafting und Canyoning
Canyoning
Familien-Rafting
Rafting
Canyoning
<i>Enns</i>tal und Johnsbach
Admont und Frauenberg
 
Admont
Geschichte Des Benediktiner-Stiftes Admont
 
Gesäuse
Nationalpark Gesäuse
1 : 25 000 - Offizielle Wander-, Bike- und Skitourenkarte
 
In der Sommerfrische
In der Sommerfrische: Erzählungen 1880 - 1887 von Anton Tschekow
 
 

 
Johnsbach, 11. August
Admont und Frauenberg  
Stift Admont, die Kirche, die weltberühmte Stiftsbibliothek, warum bringt mich eine der­art geballte Anhäufung Stiftkirche Admontvon Kunst und Kultur nicht ins Schwär­men? Unschlüssig schleiche ich in der Umgebung der Kirche und der anderen Gebäude herum - eine Wurstsemmel als Mit­tagessen in der Hand - und warte auf die göttliche Einge­bung. Sie kommt nicht.
Der Platz vor der Kirche wird gerade mit schwerem Ge­rät auf Vordermann gebracht. Pflastersteine werden neu ge­legt, Wege erneuert, moderne(!) Beleuchtungskörper in­stalliert. Es staubt und lärmt und lädt nicht zur Besinn­lichkeit ein, schon gar nicht dazu, in dem kleinen Café auf die Öffnungszeit der Bibliothek zu warten. Dem "Stifts­keller" ist ein moderner Vorbau aus Glas und Plastik vorge­lagert, mit einem künstlich angelegten Schilf- und Pflanzengürtel, der dem Lokal den Charakter einer karibischen Cocktailbar verleiht. An und für sich ein gelun­ge­nes Beispiel von Gaststättenarchitektur, aber hier, in diesem Tempel des Barocks ist es meines Erachtens nur ein Stilbruch. Wo bleibt, beim Anblick der Eis schleckenden, Kaffee schlürfenden Touristen, der Rahmen für eine andächtige Stimmung?
 
Es ist sicher in guter Absicht, dass das Ensemble gepflegt wird, aber geht nicht etwas ver­loren, wenn es geschniegelt und gestriegelt den Besuchermassen präsentiert wird, end­gül­tig auf ein Museum reduziert? Der Garten wird gerade neu bepflanzt und leider brummt auch dort der Motor eines Rasenmähers. Mir wird's zu viel. Meinem Herzen tut es weh, ansehen zu müssen, wie die herrliche Kultur Mitteleuropas zunehmend "disneylandisiert" wird und dabei immer mehr die Chance verloren geht, dem heu­tigen Menschen wesen­tliche Teile dieser Kultur näher zu bringen.  
Plötzlich fällt mir das Kloster Hohenfurth im Böhmerwald als positives Beispiel ein. Auch dort ein Stift, eine Kirche, wunderbare Bibliotheksräume, die Atmosphäre eines Jahr­hun­derts, das längst Vergangenheit ist. Das Kloster hatte mich außerordentlich stark beein­druckt. Denn der Rahmen passte noch! Es war keine piekfein renovierte Ortschaft mit Supermarkt und Lärm als störenden Rahmen. Stattdessen ein alter, man könnte sagen, ehrwürdiger, stark vernachlässigter Ort, in dem selbst die Nach­kriegsgebäude patina­rei­ches Alter ausstrahlten. Neben der Abtei sorgte ein verfalle­nes Wirtschaftsgebäude, die ehemalige klostereigene Brauerei, dafür, dass ein wehmütiges Gefühl von Weit-weit-weg entstehen konnte, das die Besucher in die ferne Zeit der Mönche und in ihr Leben zu versetzen vermochte.  
Also nur kurze Besichtigung der weltberühmten Bibliothek und dann Programm­änderung: als Wegweiser ein altes Foto von meiner Mutter als Kind, das 1928 in Frauenberg, etwa 10 Kilometer von Admont entfernt, aufgenommen wurde.
Es ist wärmste Mittagszeit. Das Ennstal liegt ziemlich tief, das Wetter ist klar, mein Hemd klebt am Leib, meine Augen blinzeln angestrengt im grellen Sommerlicht.
Hoch auf dem Hügel steht die Kirche, ein wahres Barockjuwel, einsam und ver­schlafen in der Mittagshitze. Ein Sonnenstrahl, der durch ein Südfenster in die Kirche scheint, zaubert einen warmen, leuchtenden Lichtfleck auf das dunkle, abgenutzte Holz einer Sitzbank, Ich setze mich, versuche die Atmosphäre des Ortes aufzu­nehmen, mich ein wenig nach innen zu wenden und die große Stille zu genießen. Gebetbücher liegen auf den Bänken. Nach einer Weile beginnt sich tatsächlich ein Anflug von Andachtsstimmung bei mir einzustellen. Die alte Zeit rückt näher.
 
Aber Menschenschritte reißen mich kurz darauf wieder raus. Ich will weiter. Mit der Wan­der­karte in der Hand suche ich jetzt nach der Stelle, die der Perspektive nach mit jener auf dem alten Familienfoto übereinstimmen könnte. Die Luft zittert in der Sommerhitze, neben der Enns erwarten mich frisch gemähte Sommerwiesen, kleine Wäldchen und macchiaartige, verwilderte Flächen. Der Fluss selbst ist von einem schmalen Auwald flankiert, der so aussieht, als ob er immer schon dort gewesen wäre. Mit dem Foto in der Hand bewege ich mich teils einem Weg folgend, teils auf säuerlich und nach Heu riechenden Wiesen, von Schnaken und von der Mittagssonne geplagt.  
Mich erinnert die Atmosphäre sehr an das Niederbayern meiner Kindheit oder an längst vergangene Urlaube in Österreich, an Zeiten ohne moderne Schwimmbäder, als man meist in einem "Weiher" oder im Fluss badete, barfuß über die Wiesen lief und noch keine Jeans sondern kurze Hosen trug. Zeiten, als die Elektrozäune den Stacheldraht noch nicht verdrängt hatten und es am Wegrand noch Blumen gab und der Gestank und der Lärm der Traktoren und des rauschenden Verkehrs sich noch in Grenzen hielten.  
Man ging meistens zu Fuß und nahm Wegzehrung auf den Spaziergängen mit, weil es nicht an jeder Ecke Gaststätten gab und man ohnehin sparen musste. Es gab noch mehr Schmetterlinge als die wenigen Pfauenaugen und Kohlweißlinge, die man ab und zu noch sieht, und man konnte noch nassen Staub riechen. Man sah weder die Kondensstreifen, noch hörte man den Knall von tieffliegenden Jets, und Radfahrer hatten noch nicht alle das gleiche Tour-de-France-Outfit mit buntgemusterten, anliegenden elastischen Bike-Shorts.  
Der Urlaub hieß "Sommerfrische", man lief barfuß über Feldstoppeln, holte die Milch im Kübelchen direkt vom Bauern, half manchmal bei der Ernte, lief den Katzen nach statt Gameboy zu spielen und saß an verregneten Tagen zusammen beim "Mensch-ärgere-dich-nicht"-Spiel. Es gab noch keine Trimm-dich-Pfade, kein Fernsehen am Abend als Familienlebentöter, keine Musikkassetten als Ersatz für eigenes Singen. Besuche in den ehemaligen Ostblockstaaten erinnern noch ein wenig an diese Zeit. Dort wird das Singen in der Gemeinschaft noch leidenschaftlich gepflegt.  
Und es roch auch noch anders auf den Wiesen, bevor die Chemie alle Pflanzenvielfalt ausgemerzt hatte.  
An all das erinnert mich dieses auch heute noch weitgehend freigebliebene Areal an der Enns. Ich versinke in eine andere Zeit und genieße es in vollen Zügen, obwohl mir der Schweiß von der Stirn rinnt und ich von Schnaken zerstochen werde. Schließlich gelingt es mir, die Perspektive genau mit dem Bild vergleichend, die gesuchte Stelle zu finden, eine Wiese, einen Weg, die Vegetation der Böschung entlang der Enns.  
Frauenberg einst / heute
 
Die Stelle ist wie durch ein Wunder fast unverändert geblieben. Aus den auf dem alten Foto dargestellten Büschen sind zwar riesige Bäume geworden und der Hügel, auf dem die Wallfahrtskirche liegt, ist heute fast völlig vom Wald überwachsen, aber kein Kahlschlag, keine Bebauung, keine Flurbereinigung haben dem Ensemble etwas angehabt.  
Ich kann zwar nicht behaupten, dass mich dieser Augenblick des Wiederfindens be­rau­schen würde, schließlich ist es nicht meine Vergangenheit, nach der ich gesucht habe, und dennoch, die Suche, der Ort, die Hitze, die Atmosphäre und all meine Gedanken darüber haben eine ungewöhnliche Konzentration auf die auf dem Bild verborgene Welt erzeugt, dass ich sie beinahe als eigene wiedererkannt habe.
Während die Luft bereits anfängt milder zu werden, ziehe ich weiter den Fluss ent­lang. Ein kleiner Tümpel, wohl ein abgestorbener Arm der Enns, weckt noch ein letztes Mal meine Neugier. Die Silhouette eines kleinen Gehölzes spiegelt sich matt in das von Unmengen von Mücken bevölkerte morastige Wasser, während die Luft in absoluter Unbewegtheit erstarrt ist. Dieses Kleinod scheint mir in urzeitlichem Zu­stand geblieben zu sein, und es verstärkt ein beglückendes Gefühl in mir, Freude über eine Welt, die bestehen bleibt.