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Steiermark, Kärnten, Slowenien, Friaul
Durch die Steiermark
In den Karawanken
Über Slowenien nach Italien
Spuren der Isonzo-Schlachten
Slowenien / Soča-Tal
Burg Hochosterwitz
 
 
Isonzo-Schlachten
Die Schlacht am Isonzo.
888 Tage Krieg im Karst
in Plänen, Karten
und Berichten
 
 
Die steinerne Front: Auf den Spuren des Gebirgskrieges in den Julischen Alpen - vom Isonzo zur Piave
Die steinerne Front: Auf den Spuren des Gebirgskrieges in den Julischen Alpen - vom Isonzo zur Piave
 
 
 
Isonzo-Front
Auf den Spuren
der Isonzofront
 
 

Etappe in Slowenien - ein Reisebericht
Über den Loibl-Pass fahre ich nach Slowenien. Auf der Passhöhe selbst verur­sacht ein teilweise böiger, pfeifender Wind eine leicht gruselige, aber beein­druck­ende Stimmung. Leider nur vorübergehend. Denn die Landschaft ist allerorts bereits in ein derart tristes Grau gehüllt, dass mich der Gedanke, die land­schaft­lichen Schönheiten dieses kleinen Landes zu erforschen, nicht sehr überzeugt. Vielleicht kann ich ein paar Eindrücke sammeln für eine weitere Reise, lange will ich mich unter diesen Umständen nicht in Slowenien aufhalten, mich drängt's zum Meer.
Bled
Zu behaupten, dass der Ort potthässlich sei, trifft den Nagel nicht genau auf den Kopf. Denn es gibt ihn schlicht und einfach nicht, bzw. er besteht nur aus einigen riesigen Hotel­bauten im sozia­listischen „Fortschritt-Baustil", die das Seeufer ver­schan­deln. Das war's dann (sieht man von der Burg ab) auch schon.
Wenn man aber ein Auge schließt und dazu noch von der Burg auf den See hi­nun­ter schaut und auf die kleine Insel mit der barocken Wall­fahrts­kir­che, wenn man dazu noch die imposante Berg­ku­lis­se genießt, dann verschwindet der Ort selbst inmitten dieser Schönheit wie ein unwesentliches Detail.
Bled, Slowenien
Diese Burg erhebt sich auf einem senkrecht abfallenden Felsvorsprung fast 100 m über dem See. Und es ist wohl hauptsächlich der herrliche Ausblick auf See und Alpen, die die Burg (und somit Bled) zu einem attraktivem Ausflugsziel macht. Auf den Werbeprospekten sieht man auch eigenartig aussehende Boote, die Bleder Gondeln, mit denen der Tourist zur idyllischen Insel übersetzt werden kann.
In einer Pizzeria in Postumia
Draußen in der Dunkelheit prasselt der Regen in endloser Gleichmäßigkeit herab. Während ich mich verloren in meiner Gedankenwelt aufs Schreiben konzentriere, ist mir bewusst, dass ich für mich allein bin und dass mich niemand im ganzen Lokal auch nur im Geringsten wahrnimmt, abgesehen vielleicht von dem Mädchen am Nachbartisch, das meinen zufällig in ihrem Dekolleté gelandeten Blick bemerkt hat, und von der anderen jungen Frau am selben Tisch, einer aus­ge­sprochen hüb­schen Brünette, die einmal ebenso zufällig zu mir herüber geschielt hat. Tausend Schilling für ihre Gedanken!
Montag, 4. Mai
Italien: Auf Großvaters Spuren am Isonzo
Es regnet nicht mehr. Der graue Himmel geht allmählich in Weiß über und lässt eine schwache, unangenehm blendende Sonne durchscheinen. Über die Grenze bei Nova Gorica fahre ich, mit der Absicht, ein Stück Familiengeschichte auf­zuarbeiten, nach Italien. Ich will Orte aufspüren, die von Großvater in seinen Tagebüchern aus dem Ersten Weltkrieg erwähnt wurden.
"Als im April-Mai 1915 die Durchbruchsschlacht bei Gorlice war und die Russen zurückgetrieben wurden, glaubte man schon, dass der Krieg zu Ende sein wird. Arger Irrtum. Im Mai kam die Kriegserklärung Italiens. Wir wurden sofort ein­waggoniert und über Südungarn ging es unter fortwährendem Spielen des Radetz­ky­marsches bis gegen Görz. So kamen wir am Abend nach Kostanjevica. GroßvaterDie Nacht durften wir dort verbringen. Morgens sahen wir gleich ein kleines Seegefecht und vor uns das sogenannte Plateau von Doberdo, nichts als Steine. Wenige Trup­pen waren vor uns, die Italiener beschos­sen schon fleißig die einzige Ortschaft S. Martino. Bald sollten wir davon auch zu kosten bekommen. Wir sollten durch diese Ortschaft durchmarschieren und hinter dem Monte S. Michele Aufstellung nehmen. Wie durch Zufall fiel in die Ortschaft kein einziger Schuß als wir durchmar­schier­ten. Wir fanden in einem Wäldchen bei Cotici nicht nur Schutz vor der glühen­den Sonne sondern auch das wütende Feuer auf den Monte S. Michele, welcher später der heiß­umstrittenste Berg wurde, verschonte uns. Die Tagesdaten, Reihenfolge und Einzel­hei­ten der späteren Ereignisse sind mir schon entschwunden. Wir kamen dann ein paar Tage in das Wippachtal, wo man baden konnte (Wippach ist eiskalt), am Abend schwirrten Tausende von Leucht­käferchen, wie ich es noch nie sah. Dann kamen wir wieder in Stellung am Monte Sabotino nörd­lich Görz, nach 2 Tagen wurde meine Kompanie wieder Reserve in San Mauro, was mir angesichts des vom Hauswirt gebotenen guten Essens und Weines nicht gar unangenehm war. Er wollte schein­bar einen guten Patrioten spielen, dadurch wurde er später als Spion aufgehängt. Eigentlich habe ich die Entdeckung gemacht, daß am Turm und in den obersten Stockwerken des Hauses immer Wäsche in den Fenstern hängt, täglich mit ande­rer Zusammenstellung. Das waren verabredete Zeichen und das Haus wurde auch beim Schießen stets verschont.
Nach einigen Tagen kamen wir nach St.Peter. Da konnte ich die Ergiebigkeit des Görzer Beckens bewundern. Wein, Kartoffeln, Kukuruz, Bohnen und Pfirsiche auf einem Acker. Dann kamen wir nach Görz selbst. Da war ich gut untergebracht. Daß fast täglich daneben die italienischen Flieger ein paar Bomben abwarfen, durfte die Gemütlichkeit nicht stören.
Inzwischen tobte bei Oslavija-St.Florian-Podgora die 1. Isonzoschlacht. Man trank dazwischen sein Bier im Südbahnhotel, oder während des Mittagessens in einem wein­bewachsenen Hof schwirrten einzelne Geschoße daher, einmal kam surrend wie ein Flieger ein Sprengstück einer Granate daher (30 cm lang) und fiel klatschend an die Mauer. Es waren also heitere Mahlzeiten. Nach dem Abflauen dieser Schlacht gingen wir über San Grado di Merna wieder auf das Plateau von Doberdo. In einer Doline lagen wir als Reserve. Hinter uns war irgend ein Train, welcher pfiffig die Wäsche zum Trocknen fein ausbreitete. Das sahen zwei ita­lie­nische Flieger. Ich hatte den Braten schon gerochen und machte dem Bataillons­kom­mandanten den Vorschlag die Stellung zu wechseln. Er wollte nicht. So ging ich mit meiner Kompanie allein weiter. seitwärts in eine Doline. Bald folgten die anderen. Kaum waren wir weg, kamen schon heulend ein paar schwere Bri­sanz­granaten, und alle in die Doline, welche wir soeben verlassen hatten. Aus uns wäre ein Brei geworden. Schmunzelnd gedachte dessen der Bataillons­kom­man­dant.
Osterreichisch-ungarisches Sperrfeuer an der Isonzofront
Nun kamen wir wieder nach Cotici als Reserve hinter dem Monte San Michele. Jede Nacht mußten wir knapp hinter dem Gipfel in Bereitschaft liegen. Glücklicherweise machten während dieser 4 oder 5 Tage die Italiener keinen namhaften Angriff. Einst zu Mittag kam der Auftrag, die Kommandanten hätten eine Rekogniszierung vorzunehmen, um bei einem italienischen Angriff die Vor­rückungslinien und das Gelände genau zu kennen. Es half nichts, daß wir dem Bataillonskommandanten einredeten, das könne natürlich nur abends oder zeitig in der Früh geschehen, denn jetzt nachmittags ist ja da oben die Hölle los. Er be­hauptete, es müsse sofort geschehen. Also machten wir uns auf den Weg. Bald waren wir auf ei­nem geneigten Ra­sen­hang. Ge­schos­se verschiedenen Ka­li­bers flogen in Men­gen herum. Plötzlich sah ich aus einer Rauchwolke einen schwarzen Punkt auf mich zu­flie­gen. Ich wußte, das ist der Zünder eines Schrapnells; wenn der mich erwischt, bin ich zerfetzt. Soll man in die Höhe springen, seitwärts weichen oder sich bücken? Ich tat das letztere und instinktiv taten alle hinter mir dasselbe. Kaum 2 Meter über uns sauste das „Bröckerl“ über uns weg, so daß wir den Wind spürten. So heiter ging es noch ein Stückchen weiter, je höher wir kamen, desto dichter war der Geschoßhagel, einzelne Kommandanten waren schon verschwunden. Oblt. Müller und ich fanden endlich den Bataillonskommandanten hinter einem Steinhaufen leichenblaß. „Das ist eine Hölle“ meinte er. Halb trugen wir ihn bis zu unserem nahen Steinloch, wo wir stets in der Nacht geborgen waren. Dort erholte sich der Mann, dank ein paar Schlucke aus unseren Feldflaschen, wo wir stets guten Wein führten. Dann führten wir ihn gesichert wieder zurück. Wir galten schon als verloren. Die Rekognoszierung wurde dann natürlich zeitig früh gemacht. Noch ein paarmal waren wir bald da, bald dort, je nachdem wo es brenzlig wurde, und Anfang Juli hieß es, Ablösung und Abmarsch nach Dornberg. Dort sollten wir einwaggoniert werden und an die Kärntner Front abgeschoben werden. Das war uns jedenfalls lieber als diese steinige Hölle."
Wäre Großvater länger in diesem italienischen „Verdun“ geblieben, hätte er es vielleicht nicht überlebt. Es überfällt mich ein recht seltsames Gefühl beim Ge­danken, dass in diesem Frontabschnitt allein die Italiener mehr als 100.000 Tote hatten. Ohne diesen Abmarsch nach Dornberg gäbe es mich vielleicht gar nicht.
Ich bin am Fuße des Monte San Michele angelangt, im kleinen Dorf San Martino del Carso, das damals unmittelbar an der Front lag und völlig zer­stört wurde. Ich suche nach Spuren. An dieser Erhebung, die dank ihrer stra­te­gi­schen Lage einen weiten Rundblick von den Ketten der Julischen Alpen bis zur Isonzo-Ebene ge­währt, begannen die Linien der Schützengräben, die am Karst entlang führten.
Die Gegend wirkt ganz und gar nicht bäuerlich. Heute sind die meisten Häuser, die zu sehen sind, kleinbürgerliche Villen und Wochenendhäuser. Der Orts­cha­rak­ter, wie er vielleicht einmal war, ist nur in Spuren erhalten geblieben. Nur die Kirche sieht alt und erinnerungsverdächtig aus.
Ein Mann im Unterhemd streicht gerade eine Wand seines Hauses, sein Hund knurrt. Sonst ist alles ruhig, die Luft undurchsichtig, heiß und sommerlich.
Ich folge einem kleinen Weg den Berg hinauf, einem Schild des Club Alpino nach. Nach einigen Minuten komme ich zu einem winzigen Friedhof. Da haben wir's, denke ich, ein erstes Zeichen. Aber es ist ein Irrtum: Die meisten Gräber auf dem taschentuchgroßen Friedhof führen den (typisch venetischen) Namen Vi­sintin.
Nein, das kann nicht der Kriegsfriedhof sein, den ich suche.
Ich folge dem Weg weiter nach oben, suche die „steinige Hölle", von der Groß­vater schrieb, finde aber nur eine Macchialandschaft, die mich wegen ihrer Karg­heit in Gedanken in den Süden Italiens versetzt, nach Sizilien oder auf die wilden Berge der Abruzzen, jedenfalls weit, weit weg. Nur die Reste einzelner Stein­mäuer­chen lassen Rückschlüsse darauf ziehen, wie es hier einmal ausgesehen hat.
Monte San Michele
Jetzt ist der Berg­rücken stellenweise mit kniehohem Gras bewachsen, an­ders­wo sind es dichte Bü­sche oder Dor­nen­gewächse, die meine Beine zer­kratzen. Weiter oben finden sich nur kleine, fast un­durch­dringliche Wäldchen. Es riecht nach Staub, nach Lor­beer, nach säu­er­li­chen, fauligen Pflanzen, es erin­nert mich stark an die Villa Gentile, den Garten meiner Kinderzeit. Es ist erstaunlich welche Wirkung Gerüche haben können, die ich seit langem nicht mehr gespürt habe. Sie lassen mich binnen eines Augenblicks Jahrzehnte überspringen und bringen mit erstaunlicher Detailgenauigkeit entfernteste Momente meines Lebens zurück.
Ich muss an dieser Stätte des „Großen Krieges“ auch an die unangenehme Rolle denken, die für mich als in Italien aufgewachsener Österreicher die „Erb­feind­schaft“ zwischen Österreichern und Italienern in der Schule spielte, wo im Ge­schichtsunterricht mit „patriotischer“ Inbrunst nur die Heldentaten der Italiener zelebriert wurden. Als Kind machte mir diese Art Ausgrenzung schwer zu schaf­fen. Auch die Erinnerung daran taucht jetzt mit großer Klarheit wieder auf.
Während ich im dichten Unterholz eines der Wäldchen stecken bleibe und nicht weiter vorwärtskomme, kann ich – nicht gerade mit Begeisterung – auf dem Berggipfel oberhalb des Waldes das Gerüst einer Mobiltelefon-Antenne erkennen. Völlig losgelöst von den Geschichtsereignissen genieße ich eine Zeit lang die Ein­samkeit, die Natur und die sommerliche Atmosphäre und spiele ein wenig Pfad­finder. Ich bin fasziniert und zugleich ein bisschen enttäuscht. Es fällt mir schwer, in dieser Waldidylle den steinigen Ort des Todes Tausender von Menschen zu se­hen. Irgendwann – ist es eine halbe oder eine ganze Stunde später? Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein – kann ich nicht mehr weiter. Zu häufig bleibe ich mit den Hosen an irgendwelchen Dornen hängen, ohne wirklich voranzukommen. Also kehre ich zum Auto zurück. Und mit diesem Fortbewegungsmittel der Mo­der­ne bin ich sehr schnell am Ziel: Am Ende der Teerstraße, die genau bis zum Gipfel führt, finde ich endlich die Spuren der Geschichte.
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