 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
|
|
Gesäuse mit Eisenerzer Alpen: Die schönsten Tal- und Höhenwanderungen. |
|
|
Nationalpark Gesäuse
1 : 25 000 -
Offizielle Wander-, Bike- und Skitourenkarte |
|
|
|
|
|
|
|
Johnsbach (Steiermark),
3. August 1997 |
 |
Ankommen |
|
Ein Apfelbaum:
knorrig, rau, mit graubrauner, rissiger, kleinschuppiger
Rinde, verwittert, gegen Norden mit Moos bewachsen, so
krumm, dass man denken könnte, ein stetiger Wind hätte
ihn für die Ewigkeit verbogen, als ob diese Gebirgsgegend
es mit dem kargen, windgepeitschten Feuerland aufnehmen
möchte. |
|
Ein Apfelbaum - und ein immer wiederkehrendes Gefühl taucht
unvermittelt und doch fast erwartet in mir auf. Es fällt
mir schwer, es zu beschreiben, ohne mich in Rührseligkeit
und Gemeinplätzen zu verirren. Es hat etwas mit Holzfeuerrauch
zu tun, mit dem Duft von feuchtem Heu und dem fischig-modrigen
Geruch, den man in der Nähe eines Flusses findet - und
mit der Stille, die es, würde man diesen Begriff wörtlich
auffassen, in der Natur gar nicht gibt. |
|
Es ist ein Gefühl, das seine Wurzeln tief in meiner Kindheit
hat, dem der Geschmack von Heimat anhaftet, ein Gefühl,
das schlagartig eine tiefe, innere Ruhe erzeugen kann
und doch große Ähnlichkeit hat mit der Sehnsucht nach
etwas, was unerreichbar ist. Unerreichbar, weil die Kindheit
vorbei ist, weil das Vertraute längst im pulsierenden
Leben der Stadt untergegangen ist und weil die bitteren
Erkenntnisse des Lebens so eine, letztlich "heile"
Welt nicht mehr zulassen. |
|
Es ist vielleicht die Erinnerung an eine verloren gegangene
Geborgenheit, die man, obwohl sie, wie das Paradies nach
dem Sündenfall, nicht mehr zu haben ist, sehnlichst zurückwünscht. |
|
Und ich suche dieses Gefühl in einer idealen Landschaft,
nach der ich mich immer sehne, von der ich immer wieder
träume, die ich aber für nur wenige, flüchtige Augenblicke
finde.
In solch einer Landschaft sollte es Berge
geben; doch sie dürfen nicht zu nahe und bedrohlich
wirken. Das Auge sollte in weiten, ausgedehnten Tälern
umherschweifen können, in denen die fernen Gebirgszüge,
quasi als Schutz von einem bedrohlichen "Draußen",
zwar ein Gefühl von Abgeschiedenheit vermitteln,
aber ebenso Freiheit und Offenheit. In solcher Sehnsuchtslandschaft
sehe ich von der Moderne unberührte, nach menschlichem
Maß gebaute, höchstens zwei Stockwerke hohe Häuser,
die mit taschentuchgroßen Blumenbeeten und Gemüsegärten
versehen sind. Denn es kann keine "Nachbarschaft"
im anonymen "Übereinander" großer Wohnkomplexe
geben.
Seltsam: In meinen Augen symbolisieren gerade alte, verfallene
Gebäude das Prinzip "Leben", denn sie bestehen
"spürbar" fort, wie ein hundertjähriger Baum,
wie die Strömung der Flüsse. Das, was neu ist, was
vor kurzer Zeit noch gar nicht da war, wie könnte es jemals
Beständigkeit suggerieren? |
|
Deshalb klammern sich alte Menschen so sehr an das Gewohnte.
Es zeugt von Kontinuität, von ewigem Leben. Das Neue zeigt
doch nur, dass alles, und somit auch wir selbst, ersetzt
werden und verschwinden. |
|
Es gibt Bäume, die sind Hunderte von Jahren alt; es wird
sogar behauptet, dass der Baum, unter dem Buddha meditierte,
bis ins Heute überlebt hat. Und erstaunlicherweise gibt
es dafür sogar eine einleuchtende Erklärung. Es handelt
sich nämlich um einen Banyan, eine Baumgattung,
die zur Abstützung ihrer Äste zahlreiche Luftwurzeln bildet.
Das, was manchmal bereits wie ein Wald aussieht,
ist in Wahrheit nichts anderes als ein einziges Exemplar,
das hunderte Wurzeln geschlagen hat. Und wenn ein Stamm
stirbt, leben die jüngeren Wurzeln weiter, und so immer
und immer wieder, und wenn man das Ganze als ein Individuum
sieht, so ist sein Leben fast ohne Ende. |
|
Der duftende Rauch, der aus den Schornsteinen steigt und
sich wie ein Nebel auf die in der Dämmerung langsam dunkel
werdenden Wiesen am Waldrand legt, nimmt mich gefangen.
Ich bleibe stehen und versuche jedes Geräusch zu vermeiden.
Ich möchte dieses alte Holzhaus, mit seiner dunklen Silhouette
und den warmen, orange beleuchteten Fenstern fast
umarmen, und allein der Gedanke, nicht "drinnen"
zu sein, macht mich ein wenig melancholisch. |
|
Elfen, Geister und sprechende Tiere kommen mir in den
Sinn, als ich, hingerissen vom geheimnisvollen Augenblick
und nahezu entrückt, die dunkle, fast bedrohliche Masse
des Waldes anstarre und mit wachsender inneren Ruhe den
schwarzen Schattenriss der Fichtenwipfeln gegen
einen fahlen Himmel beobachte, an dem bereits die ersten
Sterne funkeln. |
|
Gasthof Ödsteinblick,
20 Uhr 30 |
|
Ausgerüstet mit Buch
und Lesebrille und mit keinem weiteren Anspruch, als ein
gutes Essen zu genießen und eine halbe Stunde Entspannung in behaglicher Atmosphäre
zu verbringen, begebe ich mich magenknurrend und etwas
müde in die Gaststube - ich will fürs Erste nichts anderes
als "ankommen". Aber kaum öffne ich die Tür,
schwappt mir - als hätte ich drei Fernsehgeräte auf
einmal eingeschaltet - ein lautes Gewirr von
Stimmen, Tellerklirren und Radiomusik wie eine Ohrfeige
ins Gesicht. Die Luft könnte mit dem Messer geschnitten
werden. Bratfettdünste und dicker Zigarettenqualm füllen
den Raum, alle Tische sind voll besetzt, alkoholgerötete
Gesichter, bar jeder Nuance von Nachdenklichkeit, bemühen
sich im Einklang, "fröhlich" zu sein. Flotte
und dümmliche Repertoiresprüche machen die Runde,
Gläser werden angestoßen, es wird getrunken, geschnattert,
gelacht, und es hört sich an wie das unmotivierte, irritierende
Hintergrundgelächter mancher amerikanischen "Comedy"-Fernsehserie. |
|
Mir bleibt nur die Flucht übrig. Der Nebenraum - welch
ein Wunder - ist ein menschenleeres Nichtraucherzimmer
und bietet mir die ersehnte Fluchtmöglichkeit. Der schöne
grüne Kachelofen ist zwar nicht geheizt, aber der Augustabend
ist lau und die überhitzte und laute Atmosphäre des anderen
Raums dringt nur abgeschwächt herüber, wenn die Tür einen
Spalt geöffnet ist. |
|
Paradigmawechsel |
|
Kurz nachdem ich mich bei Herrn
Zeiringer, dem Wirt, nach einem Rafting-Programm
(Wildwasserfahren mit großen Schlauchbooten) für Anfänger
erkundigt habe, taucht Dieter
("Didi") Rosenberger im Nebenzimmer auf,
spricht mich mit großer Selbstverständlichkeit
gleich per Du an, hört sich meine Wünsche hinsichtlich
eines "vorsichtigen" Einstiegs in diese Sportart
an und will mich gleich zu einem vollen Wochenprogramm
mit Rafting, Canyoning (Schluchtenwandern), Outside (eine Art 2-Mann-Kanu) und zu allem,
was die neumodische Fun-and-Outdoor-Sprache suggeriert,
überreden. |
|
Freilich wäre, wenn ich meine sportlichen Ambitionen
ehrlich beschriebe, eher das Wort "Schnuppern"
adäquat. Denn alles in allem soll mein Urlaub dem Wandern,
dem Ausruhen, dem Fotografieren und dem Lesen dienen;
das Wort "Programm" - noch dazu in einer Gruppe
- erzeugt bei mir eher Widerwillen. |
|
Als im Laufe des Gesprächs das Stichwort "Fotografieren"
fällt, fragt mich Didi, ob ich Profi oder nur Wochenend-Knipser
sei. Und als ich ihm, ohne mich allzu viel aufzuspielen,
den Sachverhalt erkläre, geht er kurz in sich, gibt
sich einen Ruck und fragt mich, ob ich denn Lust hätte,
die Bilder für seinen neuen Prospekt zu machen. Als
Gegenleistung könnte ich bei allen Sportprogrammen kostenlos
mitmachen. |
|
Bereits morgen, meint er gleich, könnten wir die Mühlau-Schlucht
aufsuchen, das Gelände auskundschaften und auf Fotografierbarkeit
(also auf Anforderungen in Hinsicht auf Licht, Struktur
usw.) prüfen. Der morgige Tag, wiederholt Didi, sollte
vornehmlich zur Vorbereitung dienen, am Mittwoch
würden wir dann mit einer Gruppe zur Tat schreiten.
Keine Atempause also! |
|
Entgegen meinem eher zögernden Naturell, das keineswegs
auf rasche Entschlüsse programmiert ist, sage ich
zu. Und als ich es nicht versäume, Didi auf meine fehlenden
Kletterkenntnisse aufmerksam zu machen, spielt
er die Schwierigkeit des Unternehmens mit "Ist
alles nur halb so wild" und einem breiten Grinsen
herunter. |
|
Laut Prospekt erwartet mich also morgen ein "faszinierendes
Erlebnis" in "unserer mittelschweren
Schlucht" mit "sieben Abseilstellen"
- die letzte davon über 20
Meter im Wasserfall! Um einem möglichen Zögern
meinerseits zuvorzukommen, versichert mir aber Didi
prompt, dass diese Stelle auch zu Fuß zu umgehen sei. |
|
Es ist also beschlossene Sache. Jetzt wird es hauptsächlich
darum gehen, sich bestens auf das Fotografieren vorzubereiten
und geeignete Akteure (Teilnehmer) zu finden. Es sollten,
meint Didi, Menschen wie du und ich sein, nicht junge
Sportskanonen mit Hollywood- Gesichtern, mit denen sich
Otto-Normalverbraucher nicht identifizieren kann. |
|
|