Literatur/ Medien

Franz Werfel



Als ich - damals erst zwanzig Jahre alt - den 800 Seiten dicken Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ in Angriff nahm und mich durch die ersten hundert Seiten kämpfte, hätte ich nie gedacht, dass Franz Werfel zu meinem Lieblingsschriftsteller avan­cie­ren würde. Der Roman wurde von Seite zu Seite fesselnder. Mit unge­heu­rer Sprachgewalt beschreibt Wer­fel den ver­zwei­fel­ten Kampf der Ar­me­nier gegen die Über­macht der Türken und ihr tragisches Ende. Bald konnte ich das Buch nicht mehr hin­legen. Vor einer wichtigen UNI-Prü­fung las ich die halbe Nacht durch ...
Der Ro­man­cier, Er­zäh­ler, Ly­ri­ker, Dra­ma­ti­ker und Es­say­ist Franz Wer­fel wur­de am 10. Sep­tem­ber 1890 in Prag ge­bo­ren als äl­tes­tes von drei Kin­dern des jü­di­schen Hand­schuh­fa­bri­kan­ten Ru­dolf Wer­fel und sei­ner Frau Al­bi­ne, ge­bo­re­nen Kussi.
Sei­ne Kind­heit und frühe Jugend ver­brachte Werfel in Prag. Ab dem Jahr 1896 be­suchte er die private Volks­schule der Pia­risten. 1909 legte er im Köni­gli­chen Kai­ser­li­chen Deut­schen Gym­na­sium in der Ste­phans­gasse die Matura (Abitur) ab.
1909 begann für Franz Werfel eine lebenslange Freundschaft mit Franz Kafka, Max Brod, Willy Haas und Ernst Deutsch. Von 1911 bis 1912 leistete er den Militärdienst in Prag ab.
Der literarische Durchbruch
Sein erster Gedichtband „Der Weltfreund“ (1911) wurde in der Öffentlichkeit begeistert auf­ge­nom­men und brachte Werfel den litera­ri­schen Durchbruch und die Aufmerksamkeit von Karl Kraus und Rainer Maria Rilke. In den fol­gen­den Jahren erschienen seine Werke „Wir sind“ (1913), „Einan­der“ (1915) und der „Gerichtstag“ (1919), mit denen er sich zu einem der Haupt­ver­tre­ter des Ly­ri­schen Ex­pres­sionismus entwickelte.
1912 zog Werfel nach Leipzig, wo er als Lektor im Kurt-Wolff-Verlag arbeitete. 1914 wurde er ein­gezogen und nahm am Ersten Weltkrieg teil und wurde an die galizische Ostfront bei Tarnopol verlegt, bis ihm über die Fürsprache Harry Graf Keßlers Mitte 1917 die Versetzung ins Wiener Kriegs­pres­se­quar­tier gelang.
Die folgenden zwei Jahrzehnte lebte Werfel in Wien, wo er Freundschaft mit Alma Mahler-Gropius, der Witwe des berühmten Kom­po­nis­ten Gustav Mah­lers, schloss. 1929 heiratete er Alma, nachdem sie sich ihm zu Liebe vom Architekten Walter Gropius hatte scheiden lassen.
1919 erschien seine erste große Erzählung „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig", 1921 wurde sein Drama „Spiegelmensch“ an mehreren deut­schen Bühnen aufgeführt. In den folgenden Jahren entstanden die berühmten Novellen wie „Der Tod des Kleinbürgers“ und „Kleine Ver­hält­nisse", die Ro­mane „Der Abituriententag“ und „Die Geschwister von Neapel".
Unter dem Einfluss von Alma Mahler zog sich Werfel weit­gehend aus dem öffentlichen Leben zurück, um sich seinem litera­ri­schen Werk zu widmen. Der frühe Tod seines Sohnes Martin-Carl-Johannes, der ein Jahr nach seiner Geburt 1918 starb, und der seiner Stieftochter Manon Gropius, die 1935 an Kinderlähmung starb, machten Franz Werfel schwer zu schaffen.
Die vierzig Tage des Musa Dagh
Franz Werfel
Die 40 Tage des Musa Dagh
Während ei­ner Rei­se nach Da­mas­kus er­leb­te Wer­fel das Elend ar­me­ni­scher Flücht­lings­kin­der. Die­ses Er­leb­nis ins­pi­rier­te ihn zu sei­nem Schlüs­sel­ro­man „Die vier­zig Ta­ge des Mu­sa Dagh", in dem das Schick­sal von et­wa 5000 ar­me­ni­schen Män­nern, Frau­en und Kin­dern ge­schil­dert wird, die sich vor den grau­sa­men Ver­fol­gun­gen durch die Jung­tür­ken auf den Berg Musa Dagh ge­flüch­tet hatten.
Der Ro­man erschien Ende 1933 in Wien und wurde kurz darauf in Deutsch­land von den Nazis verboten.
"Die vierzig Tage des Musa Dagh“ ist ohne Zwei­fel das bedeutendste Werk Werfels. Von den im Exil lebenden Ar­meniern wurde der Roman mit Be­geis­terung aufgenommen. In einer ar­me­ni­schen Kirche sagte ein Priester während einer Predigt: "Wir waren eine Nation, aber erst Franz Werfel hat uns eine Seele gegeben.“
Völkermord an den Armeinern
Emigration
Anfang 1938 verbrachten die Werfels einige Wochen auf Capri. Nach der Unterzeichnung des Berchtesgadener Abkommens vom 12. Feber 1938 zwischen Deutschland und Österreich reiste Alma inkognito nach Wien zurück, löste alle Kon­ten auf und ließ das Geld in die Schweiz schmug­geln. Am 12. März 1938 marschierte die deutsche Wehrmacht in Österreich ein.
Alma verließ Wien mit ihrer Tochter, fuhr zu­nächst nach Prag und dann nach Mailand wo sie ihren verzweifelten Mann traf. Von Mailand fuhren die Werfels nach Paris, eine Woche später nach London und auf Drän­gen Almas wieder nach Paris zurück.
1940, nach dem deutschen Einmarsch in Frank­reich, wurde Werfel in Paris an die Spitze der Auslieferungsliste der Deutschen gesetzt. Mit Alma und einigen Freunden, darunter Golo Mann, flüchtete er auf abenteuerliche Weise zu Fuß über die Pyrenäen nach Spanien. Von Lissabon brachte sie ein Schiff nach New York.
Das Lied von Bernadette
Auf der Flucht vor den Nazis hatte Werfel 1940 eine Zeit lang Zuflucht in Lourdes ge­fun­den: Werfel gelobte damals, falls er ge­ret­tet würde, ein Buch über die heilige Bernadette zu schreiben.
In seinem 1941 erschienenen Roman „Das Lied von Bernadette“ erzählt Werfel die Geschichte der Bernadette Soubirous, der in Lourdes die Mutter Gottes erschienen sein soll. Das „Lied von Bernadette“ ist ein jubelnder Hymnus auf den geistigen Sinn der Welt.
Am 11. 2. 1858, erschien der Müllerstochter Bernadette Soubirous in einer Grotte bei Lourdes, die als Müllabladeplatz genutzt wur­de, eine „schö­ne Da­me", die sich dem Mäd­chen später als „unbefleckte Empfängnis“ zu er­ken­nen geben würde. Trotz aller Skepsis und Widerstände seitens der poli­ti­schen und kirchlichen Instanzen bekannte sich Bernadette zu ihren Visio­nen und grub auf Befehl der „Dame“ aus dem trockenen Boden eine wundertätige Heilquelle aus, die Lourdes in kurzer Zeit zum größten Wallfahrtsort der Chris­tenheit werden ließ.
Es gibt in diesem spannenden Roman eine besonders bewegende Passage, die eine starke Emotion bei mir auslöste. Es ist die Stelle, an der die ein­ge­schüch­terte
Das Lied von Bernadette
Das Lied von Bernadette
Ber­na­dette vor dem stren­gen, skep­tischen Pfarrer Peyramale die Wor­te aus­sprach, mit de­nen sich ihr die „Dame“ im Py­renäen-Dialekt zu er­kennen gegeben hatte: „Qué soy éra Immaculada Councepciou (ich bin die Un­befleckte Empfängnis)". Diese Worte machten Peyramale fassungslos. Denn das Dogma, dass Maria bei ihrer Empfängnis un­be­fleckt gewesen sei, war erst vier Jahre vorher vom Papst Pius IX proklamiert worden. Nie hätte sich Bernadette diese Worte selbst ausdenken können, und auf keinen Fall hätte sie wissen können, was „Unbefleckte Empfängnis“ bedeutet. Dieser Satz hatte den Widerstand des Pfarrers gebrochen und binnen Augenblicken aus einem hartnäckigen Zweifler einen glühender Verteidiger der Visionen von Lourdes gemacht.
Die letzten Jahre
Die letzten Jahre lebte Werfel in Los Angeles, Kalifornien. 1941 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Er hatte regen ge­sell­schaft­li­chen Umgang mit Thomas Mann, Friedrich Torberg, Lion Feuchtwanger, Erich Maria Re­mar­que. 1943 wurde sein Roman „Das Lied von Bernadette“ mit Jennifer Jones in der Titel­rolle mit großem Erfolg verfilmt.
1943 verschlimmerte sich Werfels Angina Pec­toris, und er erlitt zwei Herz­an­fälle. 1945 starb Werfel im Alter von 54 Jahren an einem Herzinfarkt. Er wurde im Smoking begraben, mit Seidenhemd, neben sich ein zweites Hemd zum Wechseln, die Brille in der Jackentasche, wie er es im „Stern der Unge­bo­re­nen“ beschrieben hatte. Er wurde zunächst in Beverly Hills auf dem Rose­dale Cemetery begraben. Nach der Ur­nen­über­füh­rung 1975 ruht er in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Während der 1920er und 1930er Jahre gehörte Werfel zu den bekanntesten und meistgelesenen deutschsprachigen Autoren. 1926 wurde er mit dem Grillparzer-Preis, 1927 mit dem Tsche­cho­slo­wa­ki­schen Staatspreis, 1927 mit dem Schiller-Preis und 1937 mit dem österreichischen Verdienstkreuz für Kunst und Wissenschaft 1. Klasse ausgezeichnet.
Sein Talent als Komödienautor bewies Werfel mit „Jacobowsky und der Oberst“ (1944), das 1958 mit Curd Jürgens und Danny Kaye verfilmt wur­de. Unter sei­nen wei­te­ren Wer­ken sind die Ro­ma­ne bzw. Er­zäh­lun­gen „Ge­heim­nis ei­nes Men­schen“ (1927), „Bar­ba­ra oder Die Fröm­mig­keit“ (1929), „Je­re­mias“ (1937), „Der ver­un­treu­te Him­mel“ (1939) und „Stern der Ungeborenen".

Werfels Sprachgewalt
Warum sollte er diese wieder zur Null zu­sam­mengeschrumpfte Null hassen?
Sie musste nämlich unausgesetzt über ihre geistigen Verhältnisse leben.
Gebhart sprach das Deutsch der hohen Be­am­ten in Österreich, das die Far­be nach­ge­dun­kelter Bilder hat.
Eine Grenze zwischen Himmel und Meer be­stand nicht. Sie waren aus einem Stück. Das Meer war verflüssigter Himmel und der Himmel verflüchtigtes Meer.
... und sieht ansonsten aus wie die mensch­ge­wordene Formel der Reise­pässe: „Beondere Merkmale: keine.
Kunst ist die völlig säkularisierte Religion. Und deshalb ist die Religion des neunzehnten Jahrhunderts die Kunst.
Gedanken, die keine waren, kamen und gin­gen, Bilder, ohne Bilder zu sein, schwankten hin und her.
Was wir Aberglauben nennen, das ist oft nur das Zittern und Wallen der erwärmten Luft auf die aufrechte Flamme des Glaubens.
Zwischen zu früh und zu spät liegt immer nur ein Augenblick.
Als die wirkliche Sonne aufging, lag über dem Damlajik ein steinerner Schlaf. Die Kämpfer schliefen, wo sie hingefallen waren. Die we­nigsten nur hatten die Kraft gehabt, sich bis zu ihren Decken zu schleppen. Die Knaben schliefen in Knäulen auf der nackten Erde.
Während der Bergmann gemächlich da­hin­trottete, bekam sein Rücken einen zö­gern­den und mißtrauischen Ausdruck. Es hatte den An­schein, als wol­le er je­den Au­gen­blick ste­hen­blei­ben und aus ganz be­stimm­ten Gründen zurückkehren.
 
 
Das Lied von Bernadette
Das Lied von Berna­dette [DVD] (Film mit Jenni­fer Jones)
Jacobowsky und der Oberst
Jacobowsky und der Oberst. Komö­die ei­ner Tra­gö­die in drei Akten
Jacobowsky und der Oberst
Jacobowsky und der Oberst [DVD] (Film mit Danny Kaye und Curd Jürgens)
Der veruntreute Himmel
Der veruntreute Himmel
Stern der Ungeborenen
Stern der Ungeborenen
Eine blassblaue Frauenschrift
Eine blassblaue Frau­en­schrift: Film von Axel Corti, nach einer Erzäh­lung von Franz Wer­fel [DVD]