Geschichte

Der Kärntner Ortstafelstreit



Kärnten

Es wird vermutet, dass der Name Kärnten (Karantanien) aus dem Kel­ti­schen carant (Freund, Ver­wand­ter) stammt, was einem „Land der Be­freun­de­ten" entspräche. Oder vom eben­falls keltisch karanto (Stein, Fels). Zur sel­ben Wurzel gehören auch Karnburg, Karawanken und ähnliche Namen.

Die historische Einheit Kärntens als Land mit zwei Spra­chen und zwei Kulturen war mit dem Zerfall Österreich-Un­garns abrupt zu Brü­che gegangen. Das natio­na­lis­ti­sche Prinzip hatte gesiegt. Zweimal ver­such­te Ju­go­slawien, nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, Süd­kärnten, wo es einst einen beträch­tlichen slowenischen Be­völ­ke­rungs­an­teil gab, zu annektieren. Ohne Erfolg, denn Kärnten blieb ungeteilt bei Österreich. So ist das Ver­hält­nis zwischen deutsch­spra­chigen Kärnt­nern und ihren slo­we­nisch­sprachigen Bürgern auch heute noch nicht frei von Vorurteilen, Aver­sionen, Ängsten.
1918, nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie, entwickelte sich zwischen der Re­pu­blik Österreich und dem neu gegründeten „Kö­nig­reich der Serben, Kroaten und Slowenen“, das aus der Vereinigung der Süd­slawen des Habsburger Reiches und des Kö­nig­reichs Serbien entstanden war, ein Streit um die mehrheitlich slowenisch besiedelten Ge­bie­te Süd­kärntens.
Der neu entstandene Staat (der später in Königreich Ju­go­slawien um­benannt wurde) versuchte mit Waf­fen­ge­walt, große Teile Kärn­tens seinem Staatsge­biet anzuschließen. Slo­wenische Frei­schär­ler fielen in Kärnten ein und ver­suchten, voll­endete Tatsachen zu schaf­fen. Ihnen warfen sich (ohne Hilfe Wiens) ab Dezember 1918 bunt zu­sam­men­ge­wür­fel­te, nur un­zu­reichend be­waff­nete Kärntner Frei­wil­li­gen­ver­bände, Kärntner Ab­wehrkämpfer genannt, ent­gegen. Sobald re­gu­läre Ein­heiten der jungen ju­go­sla­wischen Armee nach­rückten, brach aber die Kärnt­ner Hei­mat­front zusammen. Es kam zur Er­rich­tung einer ju­go­slawischen Mi­litär- und Zivil­ver­wal­tung in gro­ßen Tei­len Kärntens.
Dank der von den Siegermächten angeordneten Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 konnten jedoch weitgehende Ge­biets­for­de­rungen auf den ganzen Südkärntner Raum zurückgewiesen werden und die Einheit des Lan­des erhalten bleiben. Bei dieser Volks­ab­stim­mung stimmten trotz massiver Druckausübung der jugoslawischen Zivil- und Militärverwaltung auf die öster­reichisch gesinnte Bevölkerung 59 % für den Verbleib bei Ös­ter­reich! Eine Mehrheit der Slo­wenen (vor allem Bauern) stimmte für einen An­schluss an Jugoslawien, die anderen (vor allem die sozialdemokratisch beein­flussten slowenischen Ar­beiter) für den Verbleib bei Österreich. Als Ausschlag gebend für das Ab­stimmungsergebnis stellte sich das Vertrauen der Kärntner Slowenen zur historischen Einheit des Landes heraus.
Durch die Volksabstimmung von 1920 wurde die Karawanken-Grenze als Grenze mit Österreich festgelegt. Aufgrund der von den Sie­ger­mächten fest­gelegten Grenzen Sloweniens blieben etwa 90.000 Slo­wenen in Österreich, 400.000 in Italien und 7.000 in Ungarn. Dabei verlor Slowenien ein Drittel seines Volks­gebiets. Obwohl den Slowenen in Kärnten formell Minderheitenrechte zuer­kannt wurden, erwies sich die 1. Republik als nicht sehr min­der­heiten­freund­lich.
1938 kam es auch in Kärnten zur na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­über­nahme. Nach dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschland auf Jugoslawien 1941 erfolgten Repressalien gegen die Slowenen: Die slo­we­nischen Orga­ni­sationen wur­den ver­bo­ten, deren Vermögen beschlagnahmt; die bis dahin bestandenen zweisprachigen Schulen wur­den geschlossen; zahl­reiche Slo­wenen wur­den in KZs ermordet, Hunderte slowenische Familien aus Kärnten ausgesiedelt, was ein Über­greifen der slowenischen Partisa­nen­be­wegung auf Kärnten zur Folge hatten.

Kärnten
Kärnten
Nachdem bereits einen Tag vor der am 8. Mai 1945 erfolgten endgültigen Ka­pi­tulation der deutschen Wehrmacht in Kärn­ten eine provisorische de­mo­kra­tische Regierung gebildet worden war, drohte Kärnten mit dem gleich­zeitig erfolgten Einmarsch der kom­mu­nistischen Partisanenarmee und der Prokla­ma­tion der jugoslawischen Mi­li­tär­ge­walt die Fortsetzung der Dik­tatur. Nur die ebenfalls ab dem 8. Mai 1945 erfolgte Besetzung Kärntens durch die Briten verhinderte die bereits an­ge­kündigte Annexion Kärntens durch Jugo­sla­wien. Über Druck der britischen Be­sat­zungs­macht mussten die Truppen von Marschall Tito am 22. Mai 1945 Südkärnten nach 14-tä­giger Schre­ckens­herrschaft räumen.
Bis 1949 hielt Jugoslawien seine Ge­biets­for­de­rungen gegenüber Kärnten aufrecht. Erst auf der Pariser Konferenz im Juni 1949 ent­schieden die vier Großmächte gegen die ju­go­sla­wi­schen Ge­biets­ansprüche und beschlossen, dass die Grenzen Ös­ter­reichs, wie sie am 1. Jänner 1938 bestanden hatten, zu belassen seien.

Bereits mit dem Beginn der 2. Republik wurde im Oktober 1945 eine neue Schulverordnung er­las­sen: In allen Schulen Südkärntens bestand nun Pflicht­unterricht in beiden Landessprachen.
Im Staatsvertrag 1955, der Österreich Freiheit und Souveränität brachte, wurden in Artikel 7 den nationalen Minderheiten recht vage Zu­ge­ständ­nisse eingeräumt, die slowenische Sprache wurde in wenigen regionalen Nischen zugelassen, Gesamtkärnten blieb rein deutschsprachig.
Erst die sozialdemokratische Al­lein­re­gie­rung Kreis­kys leitete vorsich­tige Re­form­versuche ein. 1972 be­schloss der Na­tionalrat das so­ge­nann­te Orts­ta­fel­gesetz, das laut Artikel 7 des Staats­ver­trags in ge­mischt­spra­chigen Orten Kärntens die Er­rich­tung zweisprachiger Orts­tafeln vor­sah. Überall dort, wo mehr als 20% der Be­völ­ke­rung Slowenisch als Mut­ter­sprache an­ge­ge­ben hat­ten, sollte es Auf­schrif­ten in deutscher und slo­we­ni­scher Spra­che ge­ben. Dies be­traf 205 Ort­schaf­ten in 36 Ge­mein­den. Die­se Re­ge­lung stieß bei ei­nem Teil der Mehr­heits­be­völ­ke­rung auf er­bit­tervten Wivder­stand. So sehr las­te­te noch die kol­lek­ti­ve "Ur­angst" der Deutsch-Kärnt­ner von ei­nem ge­teil­ten Land. Es kam zum so­ge­nann­ten Orts­ta­fel­sturm. Illegale De­mon­stra­tio­nen und De­mon­tagen der Orts­tafeln und Droh­un­gen mit Bomben­an­schlä­gen ver­hin­derten die Um­set­zung des Ge­setzes. Am 14. Ok­tober be­ginnt die Stra­ßen­ver­wal­tung mit der neu­er­li­chen Auf­stel­lung der Schilder – abermals ohne Erfolg. Bis Ende des Jahres werden fast alle Tafeln gewaltsam entfernt oder die slo­we­nischen Auf­schriften beschmiert.
Ortstafelstreit
Kärnter
Ortstafelstreit
Erst nach einer langen Diskussion in der von Kreisky eingesetzten Ortstafel­kommission wurde 1976 ein Kompromiss zwischen ÖVP und FPÖ erreicht und mit dem Volks­grup­pen­ge­setz eine Regelung ge­trof­fen, nach der zur Zulassung der Zweisprachigkeit eine „Min­der­hei­ten­fest­stel­lung“ vorausgesetzt wer­den sollte. Die Quote wurde mit 25% fest­ge­legt. Dies re­du­zierte die be­troffenen Gemeinden auf über die Hälfte. Damit blieben nur noch 91 Orte übrig, 60 von ihnen erhielten in den olgemonaten solche Schilder.

Im Dezember 2001 erklärte der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof die Ortsta­fe­lre­gelung des Volksgruppengesetzes als ver­fas­sungs­wi­drig, weil zu mehrheitsfreundlich ausgelegt. Die Regelung des Volksgrup­pen­ge­setzes, wonach zweisprachige Ortstafeln nur dort zwingend sind, wo mehr als 25% der Be­völ­kerung slowenischsprachig ist, wurde mit Verweis auf den Geist des Staats­ver­trages gekippt. Der VfGH verlangte eine neue Ver­or­dnung, die die zweisprachige Topografie ab etwa 10% slowenischem Bevöl­ke­rungs­an­teil vor­schrieb. Der Landeshauptmann Jörg Hai­der startete daraufhin wü­tende Attacken gegen VfGH-Prä­si­dent Ludwig Adamovich. Das Urteil wurde nicht um­gesetzt. Jahrelang setzte Haider auf Härte und erfand immer neue Um­geh­ungs­möglichkeiten.
Entsprechend den Verfassungsbestimmungen und Gerichtsurteilen hätten 200 Orte in Kärnten eine gleichzeitig deutsche und slowenische Orts­be­zeich­nung aufführen müssen. Der geforderten Nachbeschilderung von 120 Schil­dern, die diese Auflage nicht erfüllten, kamen die Kärntner Be­hörden bis 2009 nicht nach. Aus diesem Grund wurde Haiders Nachfolger Gerhard Dörfler des Amts­miss­brauchs angeklagt. Dieses Verfahren wurde jedoch eingestellt.
Die Kärntner Slowenen

Bei den Verhandlungen um eine Lö­sung des Kärntner Ortstafelstreits erzielte man am 1. April 2011 einen Kompromiss. Demnach sollen in Ort­schaften mit einem Anteil slowenischsprachiger Bürger von 17,5% und mehr zwei­spra­chige Ortsschilder aufgestellt werden. Das würde et­wa 150 bis 160 Orts­ta­feln bedeuten. Man einigte sich auch auf die Förderungen des slo­we­nischen Mu­sik­schulwerks und der zwei­sprachigen Kin­der­gärten.

Die verbitterten Gegner der zweisprachigen Orts­tafeln waren geistig wohl nie dazu in der La­ge, den Widerspruch zu erkennen zwischen ihrer an­ti­slo­we­ni­schen Haltung und der Tatsache, dass es bei der Volks­ab­stim­mung von 1920 vor allem den slowenischen Ar­beitern, die für den Verbleib bei Österreich optiert hatten, zu verdanken war, dass die historische Einheit Kärntens er­halten blieb.

Im April 2012 erhielten 164 Ortschaften in Kärnten zwei­spra­chi­ge Orts­schil­der und Wegweiser. Somit hat Kärnten jetzt alle zwei­sprachigen Tafeln aufgestellt.
Offen bleibt u.A. die Frage nach der Ver­ant­wort­lich­keit des Kärntner Hei­mat­dienstes bei den strafbaren Handlungen gegen die Exekutive während und nach dem Ortstafelsturm von 1972.
 
 
Als Kärnten seine eigenen Kinder deportierte
Als Kärnten seine eigenen Kinder deportierte
Minderheiten
Minderheiten in Österreich
Kärntner Slowenen
Ethnos und Politik: Was wollen die Kärntner Slowenen?