Essen und Trinken

Der Weinskandal 1985


Im April 1985 wurde einer der größten Wirt­schafts- und Lebens­mit­tel­skan­dale in Österreich – und Europa – bekannt. Millionen Liter Wein wurden be­schlag­nahmt, weil einige Produzenten den Wein mit Diethylenglycol – ein min­derwertiger Alkohol, der auch als Frost­schutz­mittel eingesetzt wird – versetzt hatten.
Diethylenglykol galt bei einigen Winzern als Za­ubermittel, um dem Wein mehr Körper zu verleihen und den so genannten „Extraktwert“ (ein Qua­lit­äts­in­di­kator) zu erhöhen. Auf diese Weise wurden Weine geringer Qua­li­tät zu Prä­di­katsweinen aufgewertet. Das Nachzuckern ist bei österreichischem Wein mit der Qualitätsstufe Qualitätswein weinrechtlich nicht zugelassen.
Als „Glykolwein“ machte das Ge­pan­sche bald in den Medien die Runde. Diethylenglykol ist zwar toxisch, aber es konnten – dank der meist ge­rin­gen Kon­zentration im „Glykolwein“ – kaum ge­sundheitliche Schäden infolge sei­nes Genusses nach­gewiesen werden. Die häufigsten Ne­ben­wir­kun­gen waren Übel­keit und Nierenbeschwerden. Schwer Kranke oder gar Tote waren keine zu beklagen.
Obwohl fast zeitgleich ein Weinskandal in Italien mehrere Menschen das Le­ben gekostet hatte, waren es die Süßweine aus Österreich, die welt­weit für Empö­rung sorgten. In der Bun­des­re­pu­blik Deutschland warnte das Bundes­ge­sund­heits­ministerium am 9. Juli 1985 die Öffentlichkeit, dass österreichische Weine zum Teil mit dem genannten Frostschutzmittel verunreinigt worden seien.

Im August 1985, dem Höhepunkt der inter­na­tio­na­len Auf­re­gung, ver­öf­fent­lich­te das west­deut­sche Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­rium eine Liste mit 803 öster­rei­chischen und 27 deutschen Weinen, denen die Chemikalie zugesetzt war. In Deutschland beteuerte man aber stets, dass die Verseuchung der deutschen Produkte aus­schließ­lich durch den illegalen Verschnitt mit österreichischen Weinen zustande gekommen sei.

Der Glykolwein-Skandal
Auch andere Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien, Polen oder Ka­na­da warnten und nahmen ihn teilweise aus dem Handel. Öster­rei­chi­scher Wein, ob gepanscht oder nicht, flog aus allen Re­ga­len. Der Schaden für die österreichi­sche Wein­wirtschaft war enorm.
Der Skandal führte zu einem Vertrauensverlust sei­tens der Verbraucher und einem starken Rückgang des Absatzmarktes für österreichische Weine. Der Imageschaden beein­träch­tigte den Export noch auf Jahre hinaus. Vor allem viele kleine, unbeteiligte Winzer gerieten in wirt­schaft­li­che Schwierigkeiten und mussten aufgeben.
Der Export fiel 1985 auf ein Zehn­tel zurück (auf rund 45.000 Hek­to­liter) und sollte erst 2002 das Niveau der frühen 1980er-Jahre erreichen. Die Gesamtproduktion verringerte sich ebenfalls: Während im Re­kord­jahr 1982 es fast fünf Mil­lio­nen Hek­toliter waren, wurde 1985 nur noch etwas über eine Million hergestellt.

Bereits im Dezember 1984 war ein anonymer Hinweis mit einer Glykolprobe und gepanschtem Wein bei der landwirtschaftlich-chemischen Bundesbehörde im Zweiten Wiener Ge­mein­de­be­zirk eingegangen. Aber vielleicht wäre es gar nicht oder erst später zur Aufdeckung der Wein­verfälschungen gekommen, wenn nicht ein Winzer so dumm gewesen wäre, auffällig große Mengen von Frostschutzmittel beim Finanzamt steuerlich gel­tend zu machen.

Weinbuch Österreich: Alles über Wein und seine Geschichte Duden Wörterbuch Wein: Von Abgang bis Zweitwein
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Es gab 325 Anzeigen, 52 Strafanträge wegen Verstößen gegen das Le­bens­mit­tel- oder das Weingesetz und 21 Anklagen wegen gewerbs­mä­ßigen Betrugs. Mehrere Personen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Jahrelange Prozesse wur­den geführt. Einige der Verurteilten er­hiel­ten bis zu acht Jahre Haft. Der Scha­den, dem diese Prozesse zugrunde lagen, wurde mit fast 124 Millionen Schil­ling (neun Millionen Eu­ro) beziffert. Der größte Schaden entstand aber mittel­fris­tig auf der Image­ebene, da das Vertrauen der Verbraucher beschädigt war.

Die österreichische Bundesregierung (SPÖ-FPÖ-Koalition unter Bundeskanzler Fred Sinowatz) versuchte den Scha­den mit einer Verschärfung des Wein­ge­setzes in Grenzen zu halten. Diesem Skandal hat Österreich eines der streng­sten Weingesetze der Welt zu ver­dan­ken und die schärfsten Kon­trol­len in ganz Europa.
Österreichischer Qualitätswein, her­kunfts­ty­pische Wei­ne (DAC) und ös­ter­rei­chi­sche Prä­di­kats­wei­ne wer­den staat­lich dop­pelt ge­prüft, d.h. sie wer­den wein­che­misch ana­ly­siert und durch ein ge­schul­tes Ver­kos­ter­gre­mium, de­ren Mit­glie­der alle die Prü­fung zum amt­li­chen Qua­li­täts­wein­ver­kos­ter be­stan­den ha­ben, ge­prüft. Die DAC-Weine wer­den zusätzlich noch einer weiteren sensorischen Ver­kos­tung unterzogen, die das typische Geschmacksprofil über­prüft. Die staatliche Prüfnummer am Etikett und die rot-weiß- ro­te Ban­de­role dokumentieren dieses aufwändige Kontroll- und Qua­li­täts­si­cherungsverfahren.

Qualitätswein, der im Inland gewonnen und im Inland in Flaschen abgefüllt wurde, darf nur abgegeben werden, wenn die Flasche mit einer Banderole versehen ist. Banderolen oder ban­de­ro­len­ähnliche Zeichen dürfen nicht für andere Produkte als derartige Qualitätsweine verwendet werden.

 
 
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